"Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf
der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er
das nicht, so erfolgt eine sog. ›Stützungsaktion‹, bei der alle, bis auf den
Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, daß die Bevölkerung
aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts
mehr." Was sich wie eine satirische Erklärung zu aktuellen Anlässen liest, ist
ein kurzer Abriss aus "Kurzer Abriß der Nationalökonomie" von Kurt Tucholsky,
veröffentlicht am 15.9.1931. "Nationalökonomie ist", so schrieb er darin eingangs, "wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben." Ein Text der letzten
Endes so etwas wie das Herzstück des Abends war, wenn auch beileibe nicht der
einzige mit starkem Gegenwartscharakter. Die Wahrheit gilt nämlich auch dann
schon, wenn noch keiner sie erkennt, sagen die einen, wobei andere dem entgegenhalten,
dass man das Heute (die 2010er Jahre) mit der Welt von Gestern (die 1920er
Jahre) nicht vergleichen kann. Was in jedem Fall übrig bleibt sind unzählige
bis heute erinnerungswürdige Texte (Prosaische wie Liedtexte oder Gedichte),
sowie der bis heute moderne musikalische Zugang aus den Jahren zwischen
Weltkrieg I und Weltkrieg II. Einer der beliebtesten und populärsten Autoren in der
breiten Bevölkerung war sicherlich Kurt Tucholsky, wenn auch nicht bei denen da
oben. So versuchte z.B. der Börsenverein mit allen Mitteln einen Boykott von
Kurt Tucholskys Textsammlung "Deutschland, Deutschland über alles"
durchzusetzen, was dem Börsenverein allerdings nicht gelang, Tucholsky feierte
damit nämlich einen seiner größten Bucherfolge. In gewisser Weise ein Fan von
Kurt Tucholsky war wiederum der österreichische Komponist Hanns Eisler
(persönlich begegnet sind sich die beiden nie), der laut Werkliste 40 Lieder
nach Texten von Kurt Tucholsky schrieb, und einen Teil davon brachten Tristan
Jorde und Kristin Kehr zu Gehör, begleitet von Elisabeth Herscht-Garrelts am
Klavier.
Das Leben muss man kauen!
Revuehaft wird das Stück zusammengehalten und vorangetrieben,
umrahmt von biografischen Sprechnotizen, die den Musiktheaterabend einleiten
und ausblenden. Besonders stark herausgeschält in dieser szenischen Abfolge ist die
Treffsicherheit der eingangs erwähnten wagemutigen Prognosen, aus der sich die
Frage ableiten lässt wie es um die Vergegenwärtigung vergangener Zeiten als
Möglichkeit kultureller Orientierung steht, also quasi die Beziehungen zwischen
Politik und Musik, das Verhältnis von Musik und Macht bzw. Herrschaft.
Politische Musik ist freilich das Spielen von Nationalhymnen bei Staatsakten genauso wie das Singen auf Demonstrationen. Die Lieder von Hanns Eisler zu den
Texten von Kurt Tucholsky (nicht zu vergessen die langjährige Zusammenarbeit
von Hanns Eisler und Bertolt Brecht, deren Lieder an diesem Abend allerdings
außen vor blieben) gehen darüber hinaus. Sie sind ebenfalls politische Lieder,
aber eben auch weit mehr, oder, wie Hanns Eisler einmal kritisch anmerkte: "Unfähig, die gesellschaftliche Situation zu verstehen, schreibt er [der
moderne Musiker; Anm.] Musik, die über alles Menschliche erhaben ist." Hanns
Eisler zielte jedenfalls mit seiner Musik, so wie auch ein Dmitrij
Schostakowitsch oder Mikis Theodorakis, mit einer Zurücknahme des
kompositorischen Anspruchs auf unmittelbare Verständlichkeit. Und genau an
diesem Punkt kamen die Texte von Kurt Tucholsky ins Spiel. Die Satire. Der
Spott. Die Warnung. Die Hoffnung und der Spaß. Letzteres ist z.B. im grandios
verzärtelten Lied über Anna Luise zu hören: "Wenn die Igel in der Abendstunde /
still nach ihren Mäusen gehen / hing auch ich verzückt an deinem Munde / und es
war um mich geschehn..." Wie hier und in anderen Liedern Tristan Jorde es
versteht feine Nuancierungen zu setzen ist erstaunlich, umso mehr, da man ihn
bisher in erster Linie als sehr guten Schauspieler bzw. Performancekünstler
(Stichwort Ernst Jandl) wahrgenommen hat und weniger als Sänger. Ungleich
schwerer tat sich hingegen die in Hamburg lebende Schauspielerin Kristin Kehr
in den hohen Gesangsparts, davon abgesehen harmonieren die beiden bestens und ihnen
gelang mit "Rosen auf den Weg gestreut - Eisler trifft Tucholsky" ein
pointiertes wie kurzweiliges szenisches Stück. An Highlights hat es jedenfalls
nicht gemangelt, sei es in der bitterbösen Textsatire "Der Mensch" (Man könnte
den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise
ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören.), sei
es in Liedern wie "Rosen auf den Weg gestreut" (Küsst die Faschisten, wo ihr
sie trefft). Kurt Tucholsky definierte seine
Texte als Tendenzkunst, als operative Dichtung im Dienste politischer Aufklärung
und Veränderung. Kompromisslose und intelligente Texte, die Dank Hanns Eisler
ein zeitloses musikalisches Kleid erhielten. Mehr noch als die Texte von Kurt
Tucholsky gilt es aber eigentlich das umfangreiche musikalische Schaffen von Hanns
Eisler wieder zu entdecken - Jorde/Kehr/Herscht-Garrelts haben mit diesem eigen
produzierten Themenabend einen ersten wichtigen Schritt gesetzt, und da kann
man eigentlich nur Danke sagen. "Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu
haben, und füge noch hinzu, daß sie so gegeben sind wie alle Waren, Verträge,
Zahlungen, Wechselunterschriften und sämtliche anderen
Handelsverpflichtungen -: also ohne jedes Obligo."Text: Manfred Horak
Fotos: Barbara Palffy
Kurz-Infos:
Rosen auf den Weg gestreut
Theater Spielraum
Kritik zur Premiere am 27.3.2014
Von und mit Tristan Jorde und Kristin Kehr
Am Klavier: Elisabeth Herscht-Garrelts
Nächster Termin:
17.5.2014 (Porgy & Bess; 19 Uhr)
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