Dienstag, 1. April 2014

Premierenkritik von "Kurt Tucholsky trifft Hanns Eisler: Rosen auf den Weg gestreut" im Theater Spielraum

"Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sog. ›Stützungsaktion‹, bei der alle, bis auf den Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, daß die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr." Was sich wie eine satirische Erklärung zu aktuellen Anlässen liest, ist ein kurzer Abriss aus "Kurzer Abriß der Nationalökonomie" von Kurt Tucholsky, veröffentlicht am 15.9.1931. "Nationalökonomie ist", so schrieb er darin eingangs, "wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben." Ein Text der letzten Endes so etwas wie das Herzstück des Abends war, wenn auch beileibe nicht der einzige mit starkem Gegenwartscharakter. Die Wahrheit gilt nämlich auch dann schon, wenn noch keiner sie erkennt, sagen die einen, wobei andere dem entgegenhalten, dass man das Heute (die 2010er Jahre) mit der Welt von Gestern (die 1920er Jahre) nicht vergleichen kann. Was in jedem Fall übrig bleibt sind unzählige bis heute erinnerungswürdige Texte (Prosaische wie Liedtexte oder Gedichte), sowie der bis heute moderne musikalische Zugang aus den Jahren zwischen Weltkrieg I und Weltkrieg II. Einer der beliebtesten und populärsten Autoren in der breiten Bevölkerung war sicherlich Kurt Tucholsky, wenn auch nicht bei denen da oben. So versuchte z.B. der Börsenverein mit allen Mitteln einen Boykott von Kurt Tucholskys Textsammlung "Deutschland, Deutschland über alles" durchzusetzen, was dem Börsenverein allerdings nicht gelang, Tucholsky feierte damit nämlich einen seiner größten Bucherfolge. In gewisser Weise ein Fan von Kurt Tucholsky war wiederum der österreichische Komponist Hanns Eisler (persönlich begegnet sind sich die beiden nie), der laut Werkliste 40 Lieder nach Texten von Kurt Tucholsky schrieb, und einen Teil davon brachten Tristan Jorde und Kristin Kehr zu Gehör, begleitet von Elisabeth Herscht-Garrelts am Klavier. 

Das Leben muss man kauen!
Revuehaft wird das Stück zusammengehalten und vorangetrieben, umrahmt von biografischen Sprechnotizen, die den Musiktheaterabend einleiten und ausblenden. Besonders stark herausgeschält in dieser szenischen Abfolge ist die Treffsicherheit der eingangs erwähnten wagemutigen Prognosen, aus der sich die Frage ableiten lässt wie es um die Vergegenwärtigung vergangener Zeiten als Möglichkeit kultureller Orientierung steht, also quasi die Beziehungen zwischen Politik und Musik, das Verhältnis von Musik und Macht bzw. Herrschaft. Politische Musik ist freilich das Spielen von Nationalhymnen bei Staatsakten genauso wie das Singen auf Demonstrationen. Die Lieder von Hanns Eisler zu den Texten von Kurt Tucholsky (nicht zu vergessen die langjährige Zusammenarbeit von Hanns Eisler und Bertolt Brecht, deren Lieder an diesem Abend allerdings außen vor blieben) gehen darüber hinaus. Sie sind ebenfalls politische Lieder, aber eben auch weit mehr, oder, wie Hanns Eisler einmal kritisch anmerkte: "Unfähig, die gesellschaftliche Situation zu verstehen, schreibt er [der moderne Musiker; Anm.] Musik, die über alles Menschliche erhaben ist." Hanns Eisler zielte jedenfalls mit seiner Musik, so wie auch ein Dmitrij Schostakowitsch oder Mikis Theodorakis, mit einer Zurücknahme des kompositorischen Anspruchs auf unmittelbare Verständlichkeit. Und genau an diesem Punkt kamen die Texte von Kurt Tucholsky ins Spiel. Die Satire. Der Spott. Die Warnung. Die Hoffnung und der Spaß. Letzteres ist z.B. im grandios verzärtelten Lied über Anna Luise zu hören: "Wenn die Igel in der Abendstunde / still nach ihren Mäusen gehen / hing auch ich verzückt an deinem Munde / und es war um mich geschehn..." Wie hier und in anderen Liedern Tristan Jorde es versteht feine Nuancierungen zu setzen ist erstaunlich, umso mehr, da man ihn bisher in erster Linie als sehr guten Schauspieler bzw. Performancekünstler (Stichwort Ernst Jandl) wahrgenommen hat und weniger als Sänger. Ungleich schwerer tat sich hingegen die in Hamburg lebende Schauspielerin Kristin Kehr in den hohen Gesangsparts, davon abgesehen harmonieren die beiden bestens und ihnen gelang mit "Rosen auf den Weg gestreut - Eisler trifft Tucholsky" ein pointiertes wie kurzweiliges szenisches Stück. An Highlights hat es jedenfalls nicht gemangelt, sei es in der bitterbösen Textsatire "Der Mensch" (Man könnte den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören.), sei es in Liedern wie "Rosen auf den Weg gestreut" (Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft). Kurt Tucholsky definierte seine Texte als Tendenzkunst, als operative Dichtung im Dienste politischer Aufklärung und Veränderung. Kompromisslose und intelligente Texte, die Dank Hanns Eisler ein zeitloses musikalisches Kleid erhielten. Mehr noch als die Texte von Kurt Tucholsky gilt es aber eigentlich das umfangreiche musikalische Schaffen von Hanns Eisler wieder zu entdecken - Jorde/Kehr/Herscht-Garrelts haben mit diesem eigen produzierten Themenabend einen ersten wichtigen Schritt gesetzt, und da kann man eigentlich nur Danke sagen. "Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben, und füge noch hinzu, daß sie so gegeben sind wie alle Waren, Verträge, Zahlungen, Wechselunterschriften und sämtliche anderen Handelsverpflichtungen -: also ohne jedes Obligo."

Text: Manfred Horak
Fotos: Barbara Palffy

Kurz-Infos:
Rosen auf den Weg gestreut
Theater Spielraum
Kritik zur Premiere am 27.3.2014


Von und mit Tristan Jorde und Kristin Kehr
Am Klavier: Elisabeth Herscht-Garrelts


Nächster Termin:
17.5.2014 (Porgy & Bess; 19 Uhr)

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