Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien, wendet sich in einem offenen Brief an die Bundesregierung. "Ist Österreich wirklich noch ein Kulturstaat, wie in politischen Sonntagsreden oft genug beschworen wird?" Diese Frage muss man sich angesichts einiger beschämender Fakten leider stellen.
Sehr geehrte Damen und Herren!
- Die Bundesmuseen haben zwar das "Sammeln" als gesetzlichen Auftrag
bekommen, aber seit Jahren praktisch kein Budget für Kunstankäufe.
- Obwohl sich der reale Inflationsverlust seit 1999 auf ca. 30%
aufsummiert hat, wurde die Basisabgeltung der Bundestheater und der
Bundesmuseen seither - wenn überhaupt - nur marginal erhöht!
- Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der
wissenschaftlichen Forschung erhält jährlich ca. Euro 740
Millionen an Bundeszuschüssen. Der österreichische Fonds zur
Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) hatte zuletzt
ca. Euro 200 Millionen jährlich an Förderungen vergeben. Jetzt
droht sogar die Halbierung des aktuellen FWF-Budgets!
- Das FWF-Programm zur Förderung künstlerischer Forschung hat
jährlich Euro 2 (zwei!) Millionen zur Verfügung und ist ein
international viel beachtetes Vorzeigeprojekt für intelligente
Stimulierung künstlerischer Innovationskraft abseits des
kommerziellen Kunstmarktes.
Mit einer Bewilligungsrate von nur 10,7% ist die Chance gefördert
zu werden, für KünstlerInnen noch wesentlich geringer als für
WissenschafterInnnen.
- Der Wissenschaftsminister hat für den tertiären Bildungs- und
Forschungssektor für die Jahre 2016 - 2018 ein Zusatzbudget von
Euro 1,6 Mrd. gefordert. Damit könnte die Inflation ausgeglichen
und die Betreuungsrelationen an den österreichischen Universitäten
zumindest zu einem kleinen Teil an die Standards in Deutschland
und der Schweiz angenähert werden.
Das Finanzministerium zeigt dem Vernehmen nach kaum Verständnis
für diese Forderung.
- Ein fertig geplantes Projekt zur Sanierung und Erweiterung der
Universität für angewandte Kunst, an der mehr als 2.000 Personen
unter räumlich unzumutbaren Bedingungen arbeiten und studieren,
wird von der Bundesregierung aus Spargründen abgesagt. Am selben
Tag beschließt diese Bundesregierung die Freigabe des 5-fachen
Budgets für eine Luxus-Sanierung des Parlamentsgebäudes und die
Anmietung der Hofburg als Luxus-Ausweichquartier für die
Politiker. Die alte WU war ihnen nicht gut genug.
- Ein privater Kunstsammler fordert den Staat auf seine private
Kunstsammlung aus Steuermitteln anzukaufen, damit sein
Unternehmen und 4.000 Arbeitsplätze (sic!) gerettet werden
können. Der Buchwert der privaten Kunstsammlung beträgt Euro 86
Millionen. Der Schuldenstand der Firma, die mit dem Verkauf der
Kunstsammlung an den Staat saniert werden soll, beträgt laut
Medienberichten mehrere hundert Millionen Euro. Der Kunstminister
beruft einen runden Tisch unter Beteiligung des Eigentümers der
Kunstsammlung, des Wirtschafts- und Wissenschaftsministeriums,
des Sozialministeriums, des Finanzministeriums und der
Gläubigerbanken ein.
- Der Vorsitzende der Universitätenkonferenz befürchtet öffentlich,
dass die Universitäten infolge von drohenden
Sparbudgets "Reduktionsprogramme" fahren müssen. Zu Gesprächen
mit dem Finanzministerium wurde er bisher nicht eingeladen. Kunst
und Wissenschaft als identitätsstiftende Elemente eines Staates,
der außer dem geistigen und kreativen Potenzial seiner
EinwohnerInnen über praktisch keine Ressourcen verfügt, sind am
politischen Kommunikationsradar der Politik offenbar nicht
existent.
- Kann man wirklich nur mehr auf der Ebene von riesigen
Schuldensummen und gefährdeten Arbeitsplätzen argumentieren, um
vielleicht politisches Gehör zu finden? Was bedeutet das für
Universitäten und Kunstinstitutionen? Wie viele Arbeitsplätze
müssen betroffen, wie groß muss der Schuldenstand sein, damit
sich der Staat zu Investitionen in die Sicherung der Zukunft
dieser Schlüssel-Institutionen für den Kulturstaat Österreich
bereit findet? Welchen Stellenwert haben kleine innovative Start
up-Unternehmen in den Bereichen Wissenschaft und
Kreativwirtschaft und einzelne KünstlerInnen, DesignerInnen und
MusikerInnen, deren Zukunft durch die Beschädigung der
österreichischen Kunst- und Wissenschaftslandschaft nachhaltig
gefährdet wird?
- In den letzten sechs Jahren wurden einer einzigen Bank Euro 7,7
Milliarden aus Steuergeldern zugeschossen. Das entspricht dem
Budget aller österreichischen Kunstuniversitäten für 29
(neunundzwanzig!) Jahre. Noch genießen die österreichischen
Kunstuniversitäten international einen ausgezeichneten Ruf, der
den AbsolventInnen und nicht zuletzt der Republik Österreich zu
Gute kommt. Noch!
- 0,7% des Staatszuschusses an die Hypo-Alpe Adria Bank oder 58%
des Buchwertes der Sammlung Essl reichen aus, um den
österreichischen Kunstuniversitäten die Inflation in den drei
Jahren von 2016 - 2018 auszugleichen!
- Lediglich Euro 2 (zwei!) Mio. (0,02% der Hypo-Förderung oder 2,3%
des Buchwertes der Sammlung Essl) reichen aus, um die
Bewilligungsrate im FWF-Programm zur Förderung der künstlerischen
Forschung von 10% auf 20% zu erhöhen!
- Mit dem Buchwert der Sammlung Essl kann die geplante Erweiterung
der Universität für angewandte Kunst Wien mindestens 15 Jahre
lang finanziert und damit ihr internationaler Ruf gesichert
werden.
-
Im April soll das Parlament das neue Bundesfinanzrahmengesetz für
die Jahre 2015 - 2018 beschließen.
Wann lässt der Finanzminister endlich die Katze aus dem Sack?
Wann deklariert er sich zur Frage, ob "systemrelevant" nur die
Schuldenübernahme einer bankrotten Bank und die "Rettung" von
Arbeitsplätzen in einem Baumarktkonzern sind oder zumindest im
gleichen Ausmaß auch Investitionen in die Sicherung der Zukunft
unserer Kunst- und Wissenschaftsinstitutionen.
Ich kenne das Argument, man dürfe nicht unterschiedliche Bereiche
gegeneinander ausspielen. Ganz in diesem Sinne fordere ich Sie auf,
danach zu handeln:
Spielen Sie die Zukunft nicht gegen die Vergangenheit aus. Lassen
Sie die Zukunft nicht gegen die Fehler der Vergangenheit verlieren.
Setzen Sie Fakten zur Sicherung der Zukunft für das Bestehen
Österreichs in der "Kreativ- und Innovationsgesellschaft" des 21.
Jahrhunderts ((C) Europäische Union):
1. Zumindest volle Inflationsabdeckung für das Budget der
österreichischen Kunstuniversitäten in der kommenden
Leistungsvereinbarungsperiode 2016 - 2018
2. Zumindest volle Inflationsabdeckung für das Budget des FWF auf
der Basis des aktuellen Fördervolumens
3. Erhöhung des Budgetvolumens für das FWF-Programm zur Förderung
der künstlerischen Forschung von Euro 2 Mio. auf Euro 4 Mio.
jährlich
4. Freigabe der Finanzierung für die seit mehr als 10 Jahren vom
Wissenschaftsministerium und in dessen Auftrag von unabhängigen
Gutachtern geprüfte, als notwendig erachtete und schriftlich
zugesagte Flächenausweitung der Universität für angewandte Kunst
Wien in räumlicher Nähe zum Hauptstandort Oskar-Kokoschka-Platz
Mit besten Grüßen
Gerald Bast,
Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien
27.3.2014
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen